Positionspapier Grüne Energiewende-Union

Die GRÜNE Energiewende-Union

(Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaften Energie und Europa von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Positionspapier gibt es auch im .pdf-Format.

1. Europäische Energiepolitik

Wir GRÜNE wollen die Energiewende zu einem Exportschlager und zu einer europäischen Energiewende machen. Die Abkehr von fossiler, CO2-intensiver Energieerzeugung ist dringend notwendig, um die Klimakrise und die weitere Verschuldung anderer EU-Mitgliedsstaaten durch fossile Rohstoffimporte zu verhindern. Die negativen Auswirkungen dieser Form der Energieerzeugung auf Mensch und Umwelt, wie z.B. die Zerstörung ganzer Landstriche durch Kohletagebau, müssen so schnell wie möglich gestoppt werden. Wir wollen weg von der Atomenergie, ihren Risiken und ungeklärten Endlagerfragen. Wir brauchen vielmehr eine dezentrale, erneuerbare Energieversorgung in BürgerInnenhand statt Monopolisierung durch einige Großunternehmen.

Die Europäische Union kann und soll hierbei eine Schlüsselrolle einnehmen. Auch in der Energiepolitik ist es unsinnig und teuer, dass jeder Staat sein eigenes Süppchen kocht. Die Folgen des Klimawandels machen nicht an den Grenzen halt. Radioaktive Strahlung schert sich nicht darum, ob ein Atomkraftwerk in Tschechien oder Frankreich steht. Bei der energiepolitischen Herausforderung auf dem Weg in eine Gesellschaft ohne Atomstrom und ohne CO2-Emissionen ist ein Rückzug ins nationale Kämmerlein keine Lösung. Effektiver Klimaschutz und eine moderne Energieversorgung gelingen nur mit, nicht gegen Europa. Der EU-Binnenmarkt ist mittlerweile auch im Energiesektor Realität – wenngleich noch lange nicht vollendet – und Stromflüsse machen nicht an nationalen Grenzen halt. Deshalb müssen wir gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn eine nachhaltige Energieversorgung gestalten. Auch wir Grüne haben die Energiewende zu oft als nationales Projekt betrachtet. Es greift aber zu kurz, die europäische Energiepolitik lediglich mit dem EU-Binnenmarkt und der Wettbewerbspolitik für Strom und Gas zu verknüpfen.

Die Solidarität unter den Ländern der EU mit ihren nationalen Eigenheiten, Potenzialen und unterschiedlichen Ansätzen gibt nicht zuletzt in der Energiepolitik immer wieder neue Impulse zu Kooperationen und Synergien. Die deutsche Energiewende und konsequenter Klimaschutz auf europäischer Ebene gehören zusammen. Die EU hat sich mit der Roadmap 2050 zum Ziel gesetzt, ihre Emissionen bis 2050 um 80-95 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Damit steht das klare unumkehrbare Ziel fest!

Für uns Grüne ist klar, dass Deutschland die EU zur Führung in die richtige Richtung drängen soll, wenn es darum geht, dass eine europäische Energieunion mehr wird als eine “Einkaufsgemeinschaft” für fossile Rohstoffe. Wir wollen stattdessen Klimaschutz, Solidarität und die verstärkte Integration der Energieversorgung in den Fokus rücken.

 

2. Wo stehen wir?

Mit dem Vertrag von Lissabon und der Strategie für die Energie- und Klimapolitik bis 2020 und ihren drei verbindlichen 20-Prozent-Zielen für die Treibhausgasreduktion, den Ausbau der Erneuerbaren und Energieeffizienz war die Europäische Union einst Vorreiterin im internationalen Klimaschutz und beispielgebend für die ganze Welt. Als Staatenverbund, der sich vollständig dem Kyoto-Protokoll verpflichtet hat, galt sie lange Zeit als verlässliche Partnerin im Kampf gegen die Erderwärmung und den Klimakollaps. Doch insbesondere die letzten Jahre haben gezeigt, dass andere Interessen die Oberhand gewonnen haben.

Die Wirtschaftskrise hat für viele EU-Mitgliedsstaaten und deren BürgerInnen Klimaschutz als nachrangig gegenüber Wirtschaftswachstum erscheinen lassen. In diesem Verhandlungsklima haben die Staats- und Regierungschefs im Herbst 2014 die EU-Strategie für die Zeit bis 2030 abgesteckt und dabei die Innovationskraft ambitionierter Klimaschutzpolitik ignoriert. Von einer fortschrittlichen Politik für mehr Klimaschutz, mehr Erneuerbare und mehr Energieeffizienz haben sie sich leider mit ihren unambitionierten Vorschlägen immer weiter entfernt. Trotz jahrelanger, anderslautender Beteuerungen ist Europa nicht weniger, sondern stärker abhängig von Importen fossiler Energieträger.

Ferner hat Günther Oettinger – bis vor wenigen Monaten EU-Energiekommissar – gemeinsam mit einigen Kollegen - versucht, das Rad zurückzudrehen und eine Renaissance für Atomkraft in Europa einzuläuten und die europaweite Energiewende auszubremsen. Die EU-Kommission hat mit Oettingers Zustimmung im vergangenen Jahr staatliche Subventionen für das britische AKW Hinkley Point bewilligt. Gleichzeitig konnten neue Beihilfeleitlinien in Kraft gesetzt werden, die das EEG faktisch beerdigen. Dies war allerdings nur möglich, weil die Bundesregierung sich in ihrem Widerstand auf die Rettung der Privilegien der energieintensiven Industrie konzentriert hatte und die verpflichtende Einführung von Ausschreibungen statt Einspeisetarifen kampflos hingenommen hat. Das ist nicht nur fatal für Klima und Umwelt, sondern auch für die Energieversorgungsicherheit, unser Wirtschaftswachstum und unsere Innovationskraft.

Die Europäische Kommission hatte 2014 in mehreren Schritten und vor dem Hintergrund vieler konservativer Kräfte in Europa einen bereits wenig ambitionierten Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020-2030 vorgeschlagen. Durch Verzicht auf unverbindliche nationale Ziele hat sie die Nicht-Umsetzung der europäischen Ziele von vornherein in Kauf genommen. Der Europäische Rat hat diese Vorschläge weiter verwässert und einen schlechten Deal zu Lasten des Klimaschutzes und der europäischen Energiewende beschlossen. So sollen die EU-internen Treibhausgasemissionen bis 2030 lediglich um mindestens 40 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden. Noch dramatischer sieht es beim Ausbau der Erneuerbaren und der Energieeffizienz aus: Im Falle der Ökoenergie soll es lediglich ein Gesamt-Ausbauziel von 27 Prozent geben. Dagegen hatten wir Grüne verpflichtende Ziele von 40 % Energieeinsparung, 45 % Erneuerbaren und 55 % Emissionsminderung bis 2030 gefordert.

Die EU-Mitgliedsstaaten müssen sich fatalerweise nicht auf individuelle Ziele verpflichten. Dies bremst die Investitionen in dieser Schlüsselbranche aus. Das Energieeffizienzziel für 2030 liegt nunmehr nur noch bei 27 Prozent und ist für die Mitgliedstaaten unverbindlich. Mit diesem Rahmen gefährdet die Europäische Union die selbstgesteckten Ziele bis 2050 und versündigt sich an den Lebensverhältnissen künftiger Generationen.

Der Emissionshandel als zentrales Klimaschutzinstrument der EU liegt seit Jahren brach und entfaltet keinerlei Lenkungswirkung. Er soll zwar reformiert werden, aber erst nach 2021 und mit einer Marktstabilitätsreserve, die voraussichtlich keine Investitionsanreize in klimaverträgliche Energieerzeugung und Industrieproduktion setzt.

Weiterhin wollen die Staats- und Regierungschefs in den relevanten Bereichen weitere Vorgaben nur noch im Konsens beschließen. Ambitionierte Klimapolitik wird dadurch weiter erschwert. Diese faktische Veto-Möglichkeit ist unhaltbar und europarechtlich umstritten. Die Rolle der BürgerInnen, eventuelle Mitgestaltungsrechte oder genossenschaftliche Modelle zur Energieerzeugung werden praktisch nicht erwähnt oder durch die jüngsten Entscheidungen zu den Energiebeihilferichtlinien gar ausgebremst.

Anders als in Artikel 194 des Lissabon-Vertrages, welcher explizit die Förderung von Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz als Ziele der Union festschreibt, streben nationale Regierungen wie jene Großbritanniens und Tschechiens eine Renationalisierung und „Atomisierung“ der Energiepolitik an. Das Europäische Parlament soll künftig anscheinend gar nicht mehr beteiligt werden, die EU-Kommission nur noch als Schiedsrichter ohne Pfeife auf dem Rasen stehen, während jedes Mitgliedsland sein eigenes Spiel spielt. Europäisch soll es nur noch einige wenige Indikatoren geben und lediglich die Vervollständigung des Energiebinnenmarktes wird als einziges Oberziel festgelegt. Das ist altbackene Marktgläubigkeit, welche der ordnungspolitischen Notwendigkeit angesichts der Herausforderungen unserer Zeit widerspricht.

Gerade deshalb sehen wir die Gestaltung einer GRÜNEN Energiewende-Union als eine Chance, dass die Europäische Union energiepolitisch stärker zusammenwächst. Der Konflikt mit Russland in der europäischen Krise über die Zukunft der Ukraine hat ein europäisches Dilemma ins Licht der Öffentlichkeit gebracht: Die Abhängigkeit von Energieimporten engt die Souveränität Europas massiv ein. Durch die kurzzeitige Unterbrechung der Erdgaslieferungen in die Ukraine hat sich in 2014 gezeigt, dass eine gemeinsame solidarische Reaktion der EU über Gasumleitungen solche Situationen kurzfristig auffangen kann. Mittel- und langfristig brauchen wir aber eine Reduktion der Abhängigkeit von Energieimporten und eine gemeinsame und verlässliche EU-Energieaußenpolitik. Damit sich solche Krisen nicht mehr wiederholen können, brauchen wir eine zügige Reduktion der Abhängigkeit von Energieimporten durch mehr Energieeffizienz und beschleunigten Ausbau von Erneuerbaren Energien.

Die Debatte der vergangenen Monate, angestoßen vom damaligen polnischen Ministerpräsidenten und heutigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk und unterstützt vom britischen Premier Cameron und Bundeskanzlerin Merkel ist grundsätzlich eine sinnvolle Initiative. Auch die neue EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker trägt dieser Entwicklung Rechnung und hat erstmals einen Vizekommissionspräsidenten für die Energieunion benannt. Es wäre jedoch ein Treppenwitz der Geschichte, wenn deren Vorstellungen einer Energieunion europäischen Klimaschutz ignorieren oder sogar konterkarieren würden. Eine EU-Energieunion darf sich eben nicht in einer Einkaufsunion für fossile Energieträger und den Ausbau grenzüberschreitender Stromnetze erschöpfen, sondern wir brauchen eine Energiewende-Union, die das Klima schützt, die Abhängigkeit von Importen fossiler Energien mindert und ganz Europa sicher und sauber aus Erneuerbaren Energien und durch ein Mehr an Energieeffizienz versorgt.

Wir Grüne wollen aufdecken und anprangern, wenn das Deckmäntelchen der “heimischen Ressourcen” für eine Förderung von Fracking-Gas und anderen fossilen Energiequellen oder gar für die Renaissance gefährlicher und teurer Atomenergie steht. Wir wollen den Fokus in den Debatten um eine Energieunion auf die wahren heimischen Ressourcen legen: Energieeffizienz, Energiesparen und Erneuerbare. Der Klimawandel wird nicht durch konsequentes Ignorieren gestoppt. Nur wenn wir die Herausforderungen mutig und mit geeigneten Instrumenten angehen, können wir auch einen Ausweg aus der Importabhängigkeit finden, Europas Beitrag für den Klimaschutz garantieren und noch dazu Beteiligungsmöglichkeiten für BürgerInnen und gute Jobs mit Zukunft schaffen.

Die europäische Energiepolitik ist heute ein teurer Mix aus europäischen Zielen, einem unausgereiften Energiebinnenmarkt und nationalen Egoismen, die zu oft noch auf Besitzstandswahrung für Atom und Kohle setzen. Wir wollen die bestehenden Ziele und Rahmenbedingungen europäisch weiterentwickeln und europäisieren. Statt eines Verordnens von oben herab oder einem Flickenteppich nationaler Energiepolitiken brauchen wir einen kohärenten Mix aus lokalen, regionalen, nationalen und europäischen Politiken und Instrumenten, die auf das gemeinsame Ziel zulaufen: eine grüne Energiewende-Union.

 

3. Die GRÜNE Energiewende-Union

Unser Ziel ist eine europaweite Gesellschaft ohne Atomstrom und ohne CO2-Emissionen spätestens bis 2050. Strom, Wärme und Transport-Energien (Kraftstoffe) sollen dann zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Schon 2006 haben wir Grüne mit dem ERENE-Konzept, einer Europäischen Gemeinschaft für Erneuerbare Energien, skizziert, wie dieses Ziel Realität werden könnte. Die Entwicklung einer Energiewende-Union ist für uns eine kohärente und komplementäre integrierte Energiepolitik hin zu einer CO2-neutralen Gesellschaft mit bezahlbarer, sicherer und sauberer Energie – ohne Wenn und Aber. Daran müssen sich alle künftigen Investitionen messen lassen.

Wir wollen den unverzüglichen europäischen Atomausstieg und einen zügigen Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohleverbrennung. Wir wollen den Ausbau der Erneuerbaren Energien europaweit beschleunigen, damit alle Menschen von ihnen profitieren können, die Kosten der Bereitstellung weiter sinken und z.B. Schwankungen auch überregional ausgeglichen werden können. Gerade weil sich Investitionen in Energieeffizienz und Erneuerbare vielfältig rentieren, müssen Investitionsmittel hier zum Einsatz kommen. Mit einem europäischen Netzverbund und makroregionalen Strommärkten wollen wir Versorgungssicherheit garantieren und zudem auch das Recht auf Versorgungssicherheit auf europäischer Ebene und auf Basis von Effizienz und Erneuerbaren durchsetzen. Das stärkt die Solidarität unter den Mitgliedsstaaten 

Zudem sind ein funktionierender Emissionshandel und eine ambitionierte Treibhausgasreduktion die erforderlichen Voraussetzungen zur Hebung der Lebenshaltung und Wahrung des Wohlstands und der Lebensqualität. Wir wollen grenzüberschreitende Kooperationen fördern und nationale Borniertheit überwinden. Wir wollen eine gemeinsame europäische Energiepolitik, die von unten wächst unter Wahrung von regionalen und nationalen Verantwortlichkeiten und zugleich von der EU-Ebene aktiv und koordinierend unterstützt wird. So entsteht kohärente Energiepolitik. Dabei müssen beschleunigte Ausbaupfade und klimapolitische Vorreiterschaft auch innerhalb der Union weiterhin möglich sein. Wir wollen durch eine klare und konsistente Energiepolitik Richtung 2050 den Investitionsstau in Erneuerbare und Energieeffizienz überwinden. Damit schaffen wir Stabilität und verbessern das Investitionsklima.

Dazu gehört für uns:

a. Governance Rahmen für eine erneuerbare Zukunft

Für uns steht fest: Der Europäische Rat ist nur ein Akteur unter vielen. Die nationalen Regierungen dürfen nicht allein über die Zukunft der Energieversorgung entscheiden und mit windelweichen Zielvorstellungen die energiepolitische Integration untergraben. Klima- und Energiepolitik muss durch Gesetzgebung verbindlich sein und in demokratisch legitimierten Strukturen wachsen. Bestehende Gesetzgebung (z. B. zur Energieeffizienz, Infrastruktur oder Erneuerbaren) soll weiterentwickelt werden und dabei wieder auch in nationalen, verbindlichen Zielwerten für CO2-Einsparung, Erneuerbare Energien und Energieeinsparung festgelegt werden. Dazu gehört auch, möglichst viele Akteure in einem transparenten Prozess unter Mitentscheidung von EU-Kommission, Europäischem Parlament und Öffentlichkeit einzubeziehen. Hinterzimmerpolitik im Rat als modus operandi lehnen wir ab. Zudem muss die EU-Kommission dafür sorgen, dass klimaschädliche oder gefährliche nationale Alleingänge Richtung Kohle und Atom beendet werden und die Mitgliedstaaten ihre energiepolitischen Projekte besser koordinieren und harmonisieren, um die Widerstandsfähigkeit des europäischen Energiesystems zu stärken und Versorgungssicherheit zu garantieren.

 

b. Europäischer Netzverbund und gemeinsame Energieinfrastrukturplanung

Unsere Vision ist ein europäisches Energienetz mit makro-regionalen Märkten und einer grenzüberschreitenden Netzinfrastruktur. Wir wollen Energieinseln überwinden, ohne Europa zu einer Kupferplatte zu machen. Mit einer gemeinsamen europäischen Planung für den Aus-, Neu- und Umbau leistungsstarker, intelligenter Netze legen wir den Grundstein für die europäische Versorgungssicherheit mit Erneuerbaren Energien und senken die Infrastrukturkosten für alle Mitgliedstaaten. Dafür wollen wir grenzüberschreitende Bürgerbeteiligungsmodelle entwickeln und naturschutzfachliche Vorgaben in die Netzentwicklung in Europa integrieren.

Leider existieren mögliche EU-Projekte (“Projects of Common interest”) bisher vor allem auf dem Papier. Probleme der Finanzierung, der Akzeptanz sowie bürokratische/politische Hürden haben ein Voranschreiten hier verhindert. Wir wollen diese Projekte voranbringen, indem wir sie priorisieren und mit entsprechenden Finanzmitteln ausstatten.

Es geht jedoch nicht nur um die Stromautobahnen (Hochspannungs-Übertragungsnetze). Wir brauchen dazu passende, smarte Verteilnetzstrukturen, gerade in Grenzgebieten. Energieinfrastruktur heißt aber auch Speicher, welche für das Gelingen der Energiewende unabdingbar sind.

Ein funktionierendes Lastmanagement in einer Energiewende-Union sollte verstärkt auch Flexibilisierungsoptionen grenzüberschreitend erschließen. Das geht über den Stromsektor hinaus. Power-to-Gas und Power-to-Heat, bieten die Chance, Energie sektorübergreifend für E-Mobilität und den Wärmebedarf von Gebäuden zu speichern und zu nutzen. Auch im Bereich der industriellen Produktion gibt es noch ungenutzte Flexibilisierungspotentiale. Wir müssen nur die richtigen Anreize setzen.

 

c. Energieeffizienz mit europäischem Energiesparfonds voranbringen

Wir wollen einen europäischen Energiesparfonds, der im Geiste europäischer Solidarität zur Energieeinsparung des Gebäudebestands in Europa beiträgt. Auch die Potentiale beim industriellen Energieverbrauch wollen wir endlich heben. Mit einer kalkulierbaren Erhöhung der Abgaben auf fossile Energieträger, sei es durch eine substantielle Reform des Emissionshandels oder durch eine europaweite CO2-Steuer erhalten Unternehmen, die in Energieeffizienz investieren, Planungssicherheit.

Auf der Basis sektoraler Emissionskataster (Gebäude, Handel, Dienstleistungen, Industrie, Verkehr) wollen wir national differenzierte Ziele und Messpunkte definieren. Dadurch können Prioritäten adressiert und die Investitionsmittel am effektivsten eingesetzt werden. Unabdingbar ist die ambitionierte Weiterführung und Ausweitung der EU-Effizienzvorgaben auf andere Bereiche. Dies fördert zukunftsfähige Technologien und nachhaltige Mobilität.

 

d. Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigen

Wir wollen, dass Europa ganz auf Erneuerbare Energien umsteigt. Schon heute produzieren neue Windräder oder Solaranlagen billiger Strom als neue Kohle- oder Gaskraftwerke. Die technischen Möglichkeiten erlauben es uns schon jetzt, von den fossilen Energieträgern zu Erneuerbaren Energien zu wechseln und dabei auf Atomkraft zu verzichten und das Fracking-Gas und die klimaschädliche Kohle im Boden zu lassen. Dazu müssen BürgerInnen und Kommunen, aber auch Bürgerenergiegenossenschaften gestärkt werden und ein Einspeise- und Verbrauchsvorrang – wie es ihn beim dt. EEG gab – in ganz Europa geschaffen werden. Dies schafft faire Zugangsbedingungen zwischen BürgerInnen, Genossenschaften und anderen dezentralen und unabhängigen Akteure einerseits und den schon lange am Markt etablierten und großen Energiekonzernen mit ihrer noch immer vorhandenen Vormachtstellung.

Unerlässlich ist die Reform des Strommarkts: Die Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission, die sonst an vorderster Front steht, wenn es um drohende Einschränkungen des Marktzugangs geht, sieht tatenlos zu, wenn die fossilen Monopolisten ihre Position dazu nutzen, neue, unabhängige Anbieter von Erneuerbaren vom Markt fernzuhalten. Erforderlich sind klare Regeln, die auf Basis von Artikel 194 des Lissabonvertrags Vorgaben für die Effizienz von Kraftwerken und den Marktzugang von Anbietern Erneuerbarer Energie machen. Wir wollen einen starken Rechtsrahmen für einen integrierten, robusten und liquiden Energiebinnenmarkt, der den Erneuerbaren Vorfahrt gibt. Dazu muss sowohl die Vermarktung echten Grünstroms an EndverbraucherInnen als auch die Teilnahme an den Märkten für Regelenergie verbessert werden.

 

e. Investitionen stärken

Für einen Wandel zu 100 % erneuerbarer Energieversorgung in Strom, Wärme und Mobilität bedarf es neben den Programmen für Energieeinsparung, Energieeffizienz und Erneuerbare Energien auch gemeinschaftlicher Investitionen in Netze und Speicher. Nur so kann die notwendige Flexibilisierung angestoßen werden, denn Sonne und Wind können nicht je nach Bedarf ein- und ausgeschaltet werden.

Der Investitionsplan von Jean-Claude Juncker zeigt einen europäischen Weg auf, wie durch die gemeinschaftliche Förderung europäischer Projekte, die Investitionsklemme aufgebrochen und gleichzeitig Solidarität und Vertrauen in das Projekt Europa gestärkt werden könnten. Doch leider zeigt die Wunschliste der Mitgliedsstaaten – gerade auch die Deutschlands - nur, dass wenig zukunftsfähige und wirtschaftlich fragwürdige Projekte nun mit europäischen Mitteln finanzierbar gemacht werden sollen, ohne dass sie bereit sind zur nötigen Gegenfinanzierung. Weil sie also viel zu wenig in die Zukunft investieren, soll jetzt Europa herhalten. Es darf aber eben genau nicht darum gehen, nur Geld „aus Europa“ zu fordern, es auf die nationalen Ebenen umzulenken und somit national das Beste für sich rauszuschlagen. Das ist nicht europäisch gedacht, sondern national engstirnig.

Europa braucht nicht mehr Geld für Beton und Atomkraft. Europa braucht mehr Geld für nachhaltige Gemeinschaftsinvestitionen in Energienetze, in Energieeffizienz, in Erneuerbare Energien. Dies hilft nicht nur unserem Klima, sondern ist auch aktiver Beitrag, um in den EU-Krisenländern zielgerichtet Jobs mit Zukunft zu schaffen und insbesondere jungen Menschen wieder eine Perspektive in ihrer Heimat zu bieten. Wir kämpfen dafür, dass Mittel aus dem Investitionsplan für den Bereich der Energieunion ausschließlich in erneuerbare Projekte und zugehörige Infrastruktur fließen, die einen Mehrwert für die gesamte EU und ihre Energieversorgung und Versorgungssicherheit haben. Geld für Kohle und Atom? Nein danke!

Zudem sagen wir, dass gemeinsame Investitionen für die Nachfrageseite auch an Bedingungen geknüpft werden sollten. Im Rahmen einer kohärenten und klaren Energiepolitik können Mittel aus unserer Sicht nur dann fließen, wenn die Politiken dem Erreichen des Minderungsziels für 2050 nicht widersprechen und nachhaltige Entwicklung weder blockieren noch verlangsamen.

 

f. EURATOM abwickeln

Wir treten für die Abschaffung von EURATOM und der dort festgeschriebenen Sonderstellung der Atomenergie ein. Solange es keine Mehrheit für die Abschaffung des EURATOM-Vertrages gibt, setzen wir uns für eine Reform von EURATOM und eine Überführung in den EUV ein, um EURATOM endlich der demokratischen Kontrolle zu unterstellen. Insbesondere alle Passagen, die Investitionen, Forschungsförderung und Genehmigungsprivilegien in die Atomkraft begünstigen, müssen sofort gestrichen werden. Die Transfergelder sollten auslaufen und stattdessen in die europäische Energiewende fließen. Für noch bestehende Atomkraftwerke braucht es höchstmögliche, verbindliche Sicherheitsstandards, deren Kontrolle verschärft werden muss. Zudem wollen wir die Zwischen- und Endlagerung des europäischen Atommülls innerhalb der Europäischen Union sicherstellen.

 

g. Emissionshandel noch zu retten?!

Wir wollen den Emissionshandel endlich zu einem wirkungsvollen Instrument der EU-Klimapolitik und damit auch zu einem integrierten Instrument der Energiewende-Union machen. Dazu muss gerade die geplante Marktstabilitätsreserve wirkungsvoll sein, damit endlich wieder seine Lenkungsfunktion sicherstellt wird.

Im Rahmen einer wirkungsvollen Reform sollte auch diskutiert werden, ob dieser zukünftig stärker vor den in der Vergangenheit stattgefundenen direkten Eingriffen aus Teilen der Politik und Wirtschaft geschützt werden sollte und wie dies gegebenenfalls erreicht werden könnte. Die Idee einer europäischen Emissionsagentur, also die Schaffung einer unabhängigen Agentur, welche unter Berücksichtigung des politisch beschlossenen CO2-Minderungspfades, dem Anteil an Erneuerbaren und der konjunkturellen Situation in Europa und den Mitgliedsländern über die Zuteilung der Verschmutzungszertifikate wacht und diese anpasst, könnte ein möglicher Weg sein. Wir wollen deshalb einen Dialog darüber in Gang setzen, ob institutionelle Änderungen im Sinne des Klimaschutzes umsetzbar sind. Denn dass der Emissionshandel einer grundlegenden Reform bedarf, wird inzwischen längst über die grüne Partei und die Umwelt- und Klimaschutzbewegungen hinaus von vielen geteilt.

 

h. Den europäischen Kohleausstieg einleiten

Wir wollen, dass europäische Kohlekraftwerke deutlich höhere Vorgaben für Effizienz und in Bezug auf die gesamte Emissionsfracht einhalten müssen. Das gilt nicht nur für CO2, sondern gleichermaßen für Quecksilber und andere Schwermetalle. Dafür braucht es aber endlich eine ernsthafte politische Debatte, die diesen Prozess ordnungspolitisch steuert und ein realistisches Ausstiegsszenario entwickelt, statt weiter klimazerstörerischen Kohleträumereien hinterher zu laufen. Ein CO2-Grenzwertmodell – analog wie es Großbritannien bereits eingeführt hat – ist hier ein gangbarer Weg. Durch die Zuweisung von CO2-Emissionsbudgets könnten Kohlekraftwerke dann nur so viel CO2 ausstoßen, wie es das Klimaschutzziel zulässt. Zudem wird damit der Strukturwandel im Kraftwerkspark beschleunigt. Alte Kohle-Dreckschleudern gehen schneller vom Netz.

 

i. Subventionierung fossiler Energien trocken legen

Wir nehmen nicht länger hin, dass fossile Energieträger weltweit in einem Verhältnis von 1 zu 6 gegenüber den Erneuerbaren subventioniert werden. Europäische und nationale Förderung muss sich auf Erneuerbare konzentrieren. Wir fordern den sukzessiven Ausstieg aus der direkten und indirekten Finanzierung des Klimawandels. Anstehende Investitionen wollen wir auf Effizienz und Klimagerechtigkeit prüfen und in den Ausbau einer effizienten, klimagerechten und modernen Infrastruktur um lenken. Die Mitgliedstaaten wollen wir verpflichten, ihre offenen und verdeckten, fossilen Subventionen auslaufen zu lassen. Ferner brauchen wir sowohl für die europäische als auch für die nationalen Entwicklungsbanken verbindliche Vorgaben zum Ausstieg aus der Finanzierung fossiler Kraftwerksprojekte und deren Infrastruktur. Auch die Privat- und Finanzwirtschaft kann sich nicht weiter vor ihrer Verantwortung drücken. Durch gemeinsame Investitionsregeln wollen wir sie in die Pflicht nehmen, aus Investitionen in Gas, Öl und Kohle auszusteigen, um somit die Gefahr einer Kohlenstoff-Investitionsblase zu mindern. Fossiles Divestment statt Investment ist das Gebot der Stunde.

Der Klimawandel stellt unbestritten die größte Gefährdung für unsere Zivilisation als Ganzes dar. Also muss er auch als Risikofaktor in die Beurteilung von Investitionen einfließen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Capital Requirements Directive (CRD), welche die Eigenkapitalquote für Banken vorschreibt, um diesen Aspekt erweitert wird.

 

k. Eine Europäische Energie- und Klimaaußenpolitik

Wir wollen die Energiewende nicht nur in der gesamten EU, sondern auch für unsere Nachbarregionen und andere Teile der Welt und die Chancen der internationalen Kooperation mitdenken. Die europäische Energiewende-Union geht daher auch über die Grenzer der EU hinaus. Zusätzlich zu einer generellen Klimaaußenpolitik, welchen die Vorteile der Energiewende kommuniziert, andere Staaten unterstützt und vor allem Erneuerbare und Effizienzprojekte fördert, muss hier auch über institutionelle Verbesserungen und Erweiterungen nachgedacht werden. Dies könnten eine eigene europäische Agentur oder eine gestärkte neue EU-KlimakommissarIn sein, die europäische Interesse besser bündelt und nach außen kommuniziert.

 

4. Power to the people! Europas Energie demokratisieren

Für uns ist eine europäische Energiewende-Union mehr als die technische und logistische Neustrukturierung unserer Energieversorgung. Erinnern wir uns zurück: Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es dank der Weitsicht einiger politisch Handelnder, die Menschen davon zu überzeugen, dass man mit den Kriegsgegnern von gestern die Kohle- und Stahlindustrie zukünftig gemeinsam gestalten sollte. Im Vergleich dazu ist es in der heutigen EU der 28 mit ihrem Binnenmarkt, der gemeinsamen Währung, der Reise- und Arbeitnehmerfreizügigkeit ein Leichtes, nun den nächsten Schritt zu machen, der sich folgerichtig aus der technischen Revolution der Erneuerbaren Energien ergibt: Die Energieversorgung darf zukünftig kein Exklusivprojekt von Großunternehmen und Gewinnmodell von Aktionärsgesellschaften mehr sein, sondern muss allen offen stehen.

Dank grüner Regierungszeit und dank des Erneuerbaren Energien Gesetzes sind bereits heute die Erneuerbaren Energien der größte Stromproduzent im Energiemix und davon sind weit mehr als die Hälfte aller Erneuerbaren Energien Anlagen in BürgerInnenhand, gehören Genossenschaften oder Landwirten.

In vielen anderen Ländern der EU zeichnet sich noch(!) ein anderes Bild, doch auch hier bröckeln, manchmal im wahrsten Sinne des Wortes, die alten Kohle- und Atommeiler, werden Investitionen von großen Energieunternehmen in Neuanlagen gescheut oder nur noch durch fragwürdige, staatliche Subventionierungsprogramme rechnerisch möglich.

  

Für uns GRÜNE bedeutet die Energiewende-Union:

Raus aus den Fossilen! Rein in die Erneuerbaren! Runter mit der Energieverschwendung!

Mit diesen Botschaften wollen wir die Menschen überzeugen und zugleich den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, dass die EU einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende leisten kann. Die Grüne Energiewende-Union setzt auf eine kohärente europäische Politik für Energieeinsparung, Energieeffizienz, Erneuerbare Energien und auf Energieunabhängigkeit. Denn damit können wir uns von der Importabhängigkeit von fossilen Rohstoffen ebenso lösen wie von den Risiken knapper werdender Ressourcen. Das stärkt Europas Souveränität und Glaubwürdigkeit.

 

 

Beschluss der Bundesarbeitsgemeinschaft Europa vom 06. März 2015

Beschluss der Bundesarbeitsgemeinschaft Energie vom 07. März 2015

 

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Es geht um mehr als um Köpfe

 

Diskussionspapier zur Europäisierung der grünen Parteipolitik

 

Ohne Zweifel, es waren im Mai historische EU-Wahlen, die schon jetzt das Machtverhältnis zwischen Rat und Europäischem Parlament verändert haben. Doch nicht nur im innerinstitutionellen Verhältnis haben diese Wahlen Spuren hinterlassen. Auch innerhalb der europäischen Parteienlandschaft hat sich etwas verändert. Es geht hier jedoch nicht um das Erstarken von rechts- und linksradikalen Kräften, Populisten und Eurokritiker, sondern mehr um das Binnenverhältnis innerhalb der wichtigsten europäischen Parteienfamilien.

Die vergangene Legislatur wurde nicht nur durch die Finanz- und Wirtschaftskrise und der Suche nach passenden Antworten darauf geprägt, sondern sie zeigte – trotz des gerade erst in Kraft getretenen Vertrags von Lissabon und seiner neuen Kompetenzzuweisungen – auch die Grenzen bisheriger Diskussions- und Entscheidungsprozesse in der Europäischen Union. Bestes Beispiel: Wer besitzt eigentlich wirklich die Legitimität über Rettungspakete und an sie geknüpfte Bedingungen zu entscheiden? Das nationale Parlament eines Landes, das als Bürge auftritt? Das Nehmerland? Das Europäische Parlament oder Rat und Kommission oder am Ende alle zusammen? Dies sind aber eben nicht nur institutionelle Fragen, sondern sie berühren auch zutiefst die Arbeit innerhalb der europäischen Parteienfamilien und ihrer nationalen Mitgliedsparteien. Es gibt nicht wenige, auch bei den Grünen, die dies gerne verschweigen.

An dieser Stelle lohnt ein Blick zurück: Es ist gerade einmal zwei Jahre her, dass ein Sonder-Länderrat über das grüne Abstimmungsverhalten über den Fiskalpakt im Bundestag und Bundesrat vor allem auch von der Mehrzahl grüner Europaabgeordneten aus Deutschland initiiert wurde. "Europa" hatte mehrheitlich eine andere Position als die Mehrheit der grünen EntscheiderInnen in "Berlin" oder die grünen Landesregierungen. Der Ausgang ist bekannt: Die damalige, bundespolitische Fraktions- und Parteiführung schlitterte nach einer außerordentlich hart geführten Debatte nur ganz knapp an einer schmerzhaften Niederlage vorbei. Und innerhalb der Europäischen Grünen Partei (EGP) wurde das Thema erst wirklich diskutiert als sich die nationalen Mitgliedsparteien schon positioniert hatten.

Und wie war das noch mal mit den "Green Primaries" zur Findung der grünen EU- SpitzenkandidatInnen? Über Monate hinweg wurde diese Idee und das Prozedere von der Europäischen Grünen Partei entwickelt, in unterschiedlichsten offiziellen und inoffiziellen Runden diskutiert und beschlossen. Und dann wurde plötzlich doch von nicht wenigen grünen Bundes- und LandespolitikerInnen so getan, als seien die "Green Primaries" über Nacht vom Himmel gefallen und ihnen von "Brüssel" aufgezwungen worden. Übrigens kein rein deutsches Phänomen, wenn man sich bspw. den last Minute Ausstieg der österreichischen Grünen anschaut oder manche Diskussion dazu in der Grünen Europafraktion. Die Rolle bzw. Nicht-Rolle der EGP wird dabei mehr als deutlich.

Aber die SpitzenkandidatInnen der europäischen Parteien sollen eine rein grüne Angelegenheit gewesen sein? Falsch! So hatte gerade die deutsche Kanzlerin, die sich doch in der EU angeblich immer durchsetzt, gleich eine dreifache Niederlage erlitten: Erst hatte sie alles getan gegen die Idee von EU-SpitzenkandidatInnen.

Nachdem sie es nicht verhindern konnte, hat sie innerhalb der europäischen Konservativen (EVP) alles getan, um Jean-Claude Juncker zu verhindern. Und nachdem sie auch hier kläglich den Rückzug vor dem entscheidenden EVP-Parteitag antreten musste, weil sie keine Mehrheit für ihre Position sah, versuchte sie es ein letztes Mal, als sie zwei Tage nach der Europawahl Jean-Claude Juncker gemeinsam mit anderen Ratskollegen kalt stellen wollte. Sie scheiterte dabei immer an einer Mehrheitsmeinung innerhalb ihrer europäischen Volkspartei und nicht viel anders war es auch bei den Grünen.

Neben dem Vorstand der Europäischen Grünen Partei, haben auch Vertreter der Vorstände der nationalen grünen Parteien, der europäische Grüne Parteitag (EGP-Council) als auch die große Mehrheit der nationalen Parteien durch Beschlüsse ihren Segen für die Primaries und die Idee der EU-SpitzenkandidatInnen gegeben.

Sowohl im Falle der EVP als auch bei den Grünen haben also demokratische Mehrheiten Beschlüsse gefasst. Und sowohl bei den Konservativen als auch bei den Grünen hatten jeweils politische Schwergewichte keine Kraft dies zu verhindern oder haben es schlicht verpennt, weil sie im Alltag die eigene Partei zwar jeweils gerne als DIE Europapartei feiern, aber ihnen die europäische Mutterpartei im Alltag ziemlich fern, wenn nicht gar egal ist. Warum gerade bei den deutschen Grünen dann grüne FunktionsträgerInnen Journalisten die Munition geliefert haben, mit denen diese die "Green Primaries" und die Idee der EU-SpitzenkandidatInnen pauschal unter Beschuss nahmen, wird ein Rätsel dialektischer Wahlkampfführung bleiben. Aber sie müssen es mit sich selber ausmachen, denn es ist Schnee von gestern.

Die entscheidenden Zukunftsfragen lauten: Wollen wir so weitermachen oder sollten wir nicht besser daraus lernen? Oder zugespitzter: Wann fangen wir an, die sich verschiebenden Machtverhältnisse zwischen der EU- und der Bundesebene auch innerparteilich ernst zu nehmen? Was ist die strukturelle, parteipolitische grüne Antwort auf eine EU, die trotz aller Unkenrufe und Attacken in den vergangenen Jahren einen Kompetenzzuwachs erfahren hat? Und welche stärkeren Rollen sollen zukünftig die grüne Europafraktion und die Europäische Grüne Partei spielen? Und warum tun wir Grüne uns so schwer damit, wo wir doch zu recht bei vielen politischen EU-Entscheidungsprozessen die Brüsseler Ebene stärken wollen?

Das Problem wird sich nicht einfach damit lösen lassen, dass grüne EuropapolitikerInnen nun mehr Raum in der politischen und medialen Debatte in Berlin bekommen oder bei allen Sitzungen auch noch fünf Minuten Rederecht erhalten, sondern nur durch eine strukturelle und mentale Reform. Denn bei allem Verbesserungsbedarf muss auch festgehalten werden, dass in der fachpolitischen Tagesarbeit als auch in vielen grünen Gremien wie dem Parteirat oder der FraktionsvorsitzendInnenkonferenz VertreterInnen der europäischen Ebene die Zusammenarbeit gar nicht so schlecht funktioniert. Es wird aber auch niemand Seriöses ernsthaft bezweifeln, dass es noch erheblichen Verbesserungsbedarf gibt und vor allem neben der fachpolitischen Zusammenarbeit nun auch die innerparteiliche Machtfrage in den Vordergrund rückt.

Was darf, soll oder kann die EGP in Zukunft entscheiden? Wie sollte eigentlich ein Diskussions- und Entscheidungsprozess zwischen EGP, Grüner EP-Fraktion sowie Mitgliedsparteien und nationalen Fraktionen aussehen, wenn es um vergleichbare Fragen wie jenen des Fiskalpakts oder eben jene von grünen EU-SpitzenkandidatInnen geht? Wie erreichen wir eine wirklich strategische Zusammenarbeit zwischen den Spitzen in "Brüssel" und "Berlin"?

Es war daher ein richtiger Schritt des Bundesvorstandes, diese Frage auch als eine Aufgabe der vor einigen Monaten eingesetzten Strukturkommission mitzugeben, auch wenn dies nur ein erster sein kann.

Mit unseren Skizzen wollen wir einen Stein ins Wasser werfen, auf dass er Kreise zieht und zu Diskussionen anregt. Wir erwarten nicht, dass alle alles bedingungslos unterschreiben, aber jede und jeder muss sich bei etwaiger Kritik an einer Frage messen lassen: Wie ernst wollen wir die weitere Demokratisierung der Europäischen Union am eigenen (Partei-)Leibe vorleben ohne unsere Glaubwürdigkeit zu verlieren, wenn wir der europäischer Ebene im Gesetzgebungs- und Entscheidungsprozess an vielen Stellen deutlich mehr Kompetenzen übertragen wollen:

1. Europapolitische Vorausschau und Koordination

Für viele Verbände, Lobbygruppen und öffentliche Institutionen gehören europapolitische Vorausschauen längst zum Alltag. Gerade auf EU-Ebene lässt sich das politische Jahr gut vorplanen durch ritualisierte Jahresabläufe, durch die langwierigen Konsultations- und Entscheidungsprozesse. Auch auf den fachpolitischen Ebenen finden diese Vorausschauen oftmals bereits statt. Was bisher jedoch fehlt sind entsprechende Pendants auf VorsitzendInnenebene. Warum beispielsweise gibt es bis heute keine gemeinsamen Klausuren der VorsitzendInnen von grüner Europafraktion, EGP, grüner Bundestagsfraktion und Bundesvorstand, bei der systematisch ein Ausblick auf die kommenden Monate geworfen und gemeinsame Schwerpunkte gesetzt werden oder auch Konflikte frühzeitig identifiziert und strategisch angegangen werden können? Würde man dies als ein separates Treffen an die ritualisierten Vorstandsklausuren der nationalen Partei- und Fraktionsebene anhängen, dann würde sich der Aufwand in Grenzen halten und es gäbe erstmals eine strategische, vorausschauende Diskussion auf Augenhöhe zwischen den Keyplayern auf nationaler und EU- Ebene.

Warum sind die SprecherInnen der deutschen Delegation der Grünen Abgeordneten im EP nicht in die sogenannten "G-Kamin Runden" von Bundes- und Landesebene eingebunden? Vieles was dort über Bundesratsinitiativen besprochen wird, basiert auf EU-Vorgaben.

2. Kampagnenarbeit

Die gemeinsame Europawahlkampagne der EGP und ihrer Mitgliedsparteien hat gezeigt, dass eine engere Kampagnenarbeit und Öffentlichkeitsarbeit möglich ist, wenn die Kampagne aus flexiblen und modifizierbaren Elementen in einem Baukastenprinzip besteht, wenn sie mit ausreichend zeitlichem Vorlauf vorbereitet wird und vor allem starke webbasierte Elemente beinhaltet. Auf den positiven Erfahrungen und Fehlschlägen sollte nun aufgesetzt werden und pro Jahr mindestens eine gemeinsame Kampagne bzw. ein Schwerpunkt von EGP und Mitgliedsparteien entwickelt werden. Diese sollte möglichst auch formal von europäischer und nationaler Ebene beschlossen werden, damit die nationalen Mitgliedsparteien sich stärker verpflichtet fühlen ihre Teilnahme auch aktive Taten folgen zu lassen.

Ohne den Verantwortlichen vorgreifen zu wollen, könnte sich als ein mögliches erstes Thema eine europaweit koordinierte Kampagnenarbeit zur UN- Klimakonferenz im Herbst 2015 in Paris eignen. Auch bei TTIP oder der Diskussion um einen verbesserten europäischen Datenschutz gäbe es Anknüpfungspunkte.

3. Zusammenarbeit mit anderen nationalen Parteien

Wir wollen kein grünes Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten und doch sollten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN prüfen, inwieweit mit anderen EGP- Mitgliedsparteien beispielhaft die bi- oder trinationale Zusammenarbeit verstärkt werden kann.

Die deutsch-französischen Konsultationen oder die in diesem Jahr zum zweiten Mal veranstaltete Bodenseekonferenz sind gelungene erste Beispiele, und doch reichen jährliche Treffen auf höchster Ebene nicht aus, um wirklich den Anspruch transnationaler Politik erheben zu können.

Es muss vielmehr darum gehen, auch die zweite und dritte Reihe und auch die ReferentInnenebene stärker zu vernetzen und die gegenseitigen Hemmungen abzubauen auch einmal in Brüssel, Paris oder Wien die/den grünen KollegIn anzurufen. Es muss bei dieser Vernetzung aber auch darum gehen, sich nicht einfach einmal nur zu treffen und Europa (und sich selber) zu feiern, sondern sich konkreten tagespolitischen Einzelfragen gemeinsam zu stellen und zu versuchen zu gemeinsamen Positionen zu kommen.

Zum Einen könnte dies über Praktikawochen bei anderen Mitgliedsparteien geschehen, bei der politische EntscheiderInnen oder auch MitarbeiterInnen einmal einen Einblick in die Arbeitsweise und politische Kultur anderer grüner Parteien und Fraktionen auf nationaler und EU-Ebene hautnah kennen zu lernen. Zum Anderen sollten auf Bundes- und Landesebene EU-Zuständigkeiten zwischen Partei und Vorstandsmitgliedern/MitarbeiterInnen in schriftlichen Projektveranwortlichkeiten definiert werden, die eine konkrete Zuständigkeit festschreiben und gleichzeitig auch garantieren, dass dem Vorstandsmitglied oder dem/der MitarbeiterIn dafür auch zeitliche Budgets garantiert werden, die nicht durch andere Tätigkeiten in Frage gestellt werden. Kein einfaches Unterfangen, aber genau hier entscheidet sich eben dann, wie ernst man es denn nun mit dem Anspruch DIE Europapartei zu sein nimmt.

4. Stärkung der Europa- und Bundeskompetenz

Wer viel über Europa redet, der sollte auch mehr über die Entscheidungskompetenzen und Debattenprozesse und Funktionsweise der EU wissen. Noch immer herrschen jedoch viel zu oft die Prinzipien Zufall und "Learning by Doing", wenn politische EntscheidungsträgerInnen oder MitarbeiterInnen auf Bundes- oder Landesebene EU-Debatten bewerten und kommentieren sollen. So ist es mehr als einmal passiert, dass grüne Gliederungen in Deutschland Entscheidungen des Europäischen Parlaments per Pressearbeit kommentiert haben, obwohl die entsprechende Abstimmung kurzfristig verschoben worden war oder man ordnete Verlautbarungen aus "Brüssel" in ihrer Relevanz völlig falsch ein.

Es wäre daher wünschenswert, wenn BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Fortbildungsprogramm etablieren würden, das die europapolitische Kompetenz auf politischer und Arbeitsebene erhöhen würde. Letztlich wären die Kosten dafür überschaubar und könnte mit GreenCampus als erfahrener, grüner Weiterbildungsakademie sicherlich ein entsprechendes Programm aufgebaut werden. Zudem gibt es beispielsweise auch in der BAG Europa viele Aktive, die aus privaten oder beruflichen Gründen über große europapolitische Kompetenz verfügen und diese gerne teilen.

Analog könnte solch eine Fortbildung auch für politische EntscheidungsträgerInnen und MitarbeiterInnen von europäischer Ebene sinnvoll sein. Wer beispielsweise nie im politischen Berlin gearbeitet hat, der/die ahnt oftmals nur, wie Politik auf Bundesebene tatsächlich funktioniert.

5. Die Rolle der Europäischen Grünen Partei

Die EGP ist nicht mehr dieselbe Partei, die sie am Tag ihrer Gründung im Februar 2004 war. Alleine die gestiegene finanzielle (und damit auch personelle) Ausstattung haben ihr Selbstbewusstsein gestärkt, auch wenn sie vorläufig der "arme Verwandte" der Europafraktion bleiben wird. Aber ist dies auf nationaler Ebene anders? Gerade deswegen sollte die europäische Ebene aber auch daraus lernen und noch enger miteinander kooperieren und Rollenteilungen vornehmen.

Dazu gehört auch eine neue Ernsthaftigkeit gegenüber den Council Meetings der EGP und ihrer Beschlüsse. Es wäre wünschenswert, wenn zukünftig für alle grünen EU-AbgeordnetInnen diese Tagungen eine Art freiwilliger Pflichttermin würden, an denen sie ihr Wissen einbringen und die Debatte und Positionen mitbestimmen. Gleiches gilt auch für manche EGP-Mitgliedspartei und die RepräsentantInnen mancher nationalen, grünen Fraktion, bei denen man den Eindruck gewinnen kann, dass die DelegiertInnennominierung mehr als Incentive- Programm verstanden wird.

Umgekehrt bedarf es einer weiteren Politisierung der Council Meetings. Viel hat sich bereits im Programmablauf zum Positiven getan und doch würden wir uns noch mehr Mut zu politischer Plenumsdebatte und neuer Diskussionsformate wünschen statt so mancher Talkrunde, bei der drei Grüne und ein Gast wieder einmal auf großer Bühne um dieselben Metathemen kreisen.

Das wird zwangsläufig auch mehr Konflikte hervorrufen, gerade zwischen den "größeren" und den "kleineren" Mitgliedsparteien, jenen die über Regierungserfahrung verfügen oder gerade gar regieren und jenen, die diesen Lernprozess noch vor sich haben oder ihn bewusst nicht wollen. Aber das gehört zu Europa nun einmal dazu, so ticken in Deutschland ja auch nicht alle grünen Landesverbände gleich und trotzdem gelingt es zu eindeutigen Entscheidungen auf Bundesdelegiertenkonferenzen zu kommen. Zugegeben, auf EU-Ebene ist dieser Prozess gleichwohl schwieriger, aber ihn zu verweigern kann auch nicht die Lösung sein, wenn man als grüne Parteienfamilie von den Mitbewerbern und Medien ernst genommen werden will.

Bereits 2009 haben wir Grüne auf der BDK Rostock uns zu einem europapolitischen Mainstreaming bekannt und beschlossen: "Europapolitik darf nicht nur alle fünf Jahre vor den Europawahlen ein wichtiges Thema in der Partei sein. Die europäische Perspektive muss in der Partei sowie in den Fraktionen im Bund und in den Ländern stärker verankert werden." Was damals galt, gilt heute umso mehr.

Berlin, Juli 2014

Annalena Baerbock, Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Parteirat von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Anna Cavazzini, Co-Sprecherin Bundesarbeitsgemeinschaft Europa von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Manuel Sarrazin, Bundestagsabgeordneter und stellv. Landesvorsitzender von BÜNDNIS 90DIE GRÜNEN LV Hamburg

Michael Scharfschwerdt, Co-Sprecher Bundesarbeitsgemeinschaft Europa von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Email Verteiler der BAG-Europa

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